Seelsorger ohne Religion
Durch seine langjährige Mitarbeit bei der AIDS-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth e.V. und als Mitbegründer des legendären schwulen Männerchors Nürnberg „MäNü“ war Martin Tröbs Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre ein sehr bekanntes Gesicht in der Nürnberger Community. Danach prägten ihn 16 Jahre Schwangeren-, Sexual- und Paarberatung bei pro familia Nürnberg. GAYCON sprach mit Martin über seine interessante Vergangenheit und die aktuelle Verwirklichung eines Kindheitstraums.
Zunächst klingt es paradox, dass sich ausgerechnet ein schwuler Mann mit den Problemen schwangerer Frauen auseinandersetzte! „Aber es ging neben der Schwangerschaftskonfliktberatung beziehungsweise Beratung zu finanziellen Hilfen für Schwangere eben auch um sexualpädagogische Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche und um die Sexualberatung für Jungen und Männer – und dafür suchte pro familia gezielt auch einen männlichen Berater. In der Praxis wollten viele Frauen auch bewußt zu einem Mann, weil sie befürchteten, von einer Beraterin eher moralisch verurteilt zu werden“, erzählt Martin, der zusätzlich eine Ausbildung zum Ehe-, Familien- und Lebensberater absolvierte. „Die Arbeit hat mir zwar immer Freude gemacht, aber nach 16 Jahren hat es auch gereicht.“ Heute arbeitet er selbstständig als Sexual-, Paar- und Lebensberater sowie als freier Trauerredner unter dem Leitmotiv ‚REDEn HILFT‘.
Coming out & Chorgesang
Als Sohn einer evangelischen Pfarrersfamilie wuchs Martin von 1963 bis 1982 als einer von fünf Brüdern in Neustadt an der Waldnaab in der Oberpfalz auf. Es folgte der damals noch obligatorische Zivildienst, danach verlagerte er zum Studium der Sozialpädagogik seinen Wohnort nach Nürnberg. „In der Kindheit und Jugendzeit hat es mir gefallen, dass uns ständig Leute besuchten. Besonders die Rolle, die meiner Mutter zukam. Als Pfarrfrau war sie beratend tätig. Sie war sehr aufgeschlossen gegenüber Themen wie Sexualaufklärung für Jugendliche und natürlicher Empfängnisverhütung. Aber ganz klar im christlichen Rahmen“, erzählt Martin, der damals auch mit Begeisterung die Kirchenmusik hörte und lebte. „Das war der Ursprung meines Kindheitstraums. Heute berate ich Menschen ohne Religion und ohne Tricks.“ Als 21jähriger lernte Martin auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover Mitglieder der HuK (Homosexuelle und Kirche) kennen, womit er sein Coming out begann. Mit viel Mut schrieb er seinen Eltern einen zehnseitigen Brief. Die Resonanz war zu erwarten. Die Mutter heulte am Telefon und der Vater meinte „er könne sich nun mit einem offen schwulen Sohn nicht mehr auf der Kanzel zeigen. Er dürfe zwar weiter heimkommen, aber falls er einen Freund hätte, solle er ihn bitte nicht mitbringen.“ Sogar eine Therapie stand im Raum. Martin zog die Konsequenz und hatte sich ein Jahr daheim nicht blicken lassen. Inzwischen sind die Familienbeziehungen wieder gekittet, obwohl Martin 1988 aus der Kirche austrat und mit seinem Mann seit 2012 verpartnert ist.
Die Musik war und ist ein wichtiger Bestandteil in Martins Leben. Seit 1969 hat er in rund 25 Chören gesungen. Den Schwulen Männerchor Nürnberg MäNü, der in den Jahren 1985 bis 1992 Furore machte, hat er sogar selbst mitgegründet. Die Karriere des Chores wäre noch weitergegangen. Es gab viele Konzertanfragen aus dem ganzen Bundesgebiet, wie beispielsweise aus dem Hamburger Schmidt-Theater. Für die Stadt Nürnberg war MäNü beim ZDF-Städteturnier zu sehen, eine Konzert-Schallplatte wurde mit den Jungs produziert. „Wir wollten zwar nie im Fummel auftreten, nur beim letzten Konzert in der Tafelhalle wechselten wir im zweiten Teil vom Anzug ins Kleid nebst Stöckelschuhen und Perücken. Damals war ein schwuler Männerchor nicht so üblich wie heute. Es wurden Klassiker kreativ umgetextet. Die Zeit war unglaublich und ein wunderschönes Geschenk. Wir waren alle Rampensäue und mit viel Selbstironie brachten wir das Publikum zum Lachen. Die Konzerte waren ausverkauft, obwohl kaum Werbung gemacht wurde“, erinnert sich Martin „Die Trennung erfolgte, als wir alle mit dem Studium fertig waren. Die Einhaltung regelmäßiger Termine gestaltete sich zunehmend schwierig. Die Entscheidung, uns mit mehr Auftritten vollständig auf den Chor zu konzentrieren, hätte mir gefallen. Mit der angezogenen Handbremse weitermachen war keine Lösung. Dazu kam der Druck, neue Lieder-Programme auszuarbeiten. Deshalb ging dem Projekt die Luft aus.“ Danach fiel Martin in eine Krise, denn sieben Jahre quasi schwuler Selbsthilfegruppe, in der alle Beziehungs- und Familienprobleme besprochen wurden, waren plötzlich Vergangenheit. Von 2000 bis 2013 lebte er seine musikalische Ader im Hans-Sachs-Chor aus, bei dem er schon während der MäNü-Zeit vertreten war, heute singt er im Amadeus-Chor in Neuendettelsau.
Reden hilft immer
„Durch meine Sterbebegleitung während der AIDS-Hilfe-Zeit erlebte ich viele Beerdigungen mit. Oft nahmen die Pfarrer falsche Rücksicht auf die Hinterbliebenen und verschwiegen in ihrer Rede einen wesentlichen Teil, nämlich den schwulen Lebensentwurf des Verstorbenen. Dabei entstand in mir das Gefühl, am falschen Sarg zu stehen“, erinnert sich Martin. „Es gab jedoch auch Lichtblicke. Ich war gerührt, als ein Pfarrer vor einer dörflichen Trauergemeinde offen über AIDS sprach. – Seitdem wollte ich Trauerredner werden. Ich möchte bei meinen Reden die Verstorbenen mit all ihren Facetten würdigen und ihr Leben feiern“, betont Martin. „In der Paarberatung wird mir oft bei den Problemen gesagt: Darüber reden wir nicht. Dazu kommt, dass Männer und Frauen unterschiedlich ticken. So fließen auf meinem Sofa Tränen, wenn der Mann seiner Frau das Herz ausschüttet oder umgekehrt. Während der andere zuhören muss, weil er in der Redezeit nicht antworten darf.“ Viele Paare begehen den Fehler, dass sie ihren Partner ändern wollen. „Wichtig ist im banalen Alltag ein Mensch, der mich so sein lässt, wie ich bin.“
Fotos/ Text Norbert Kiesewetter
Fotos ohne Logo Privat/ Martin Tröbs
GAYCON März 2015