Liebe ohne Grenzen
Unter dem Motto „Liebe ohne Grenzen“ zog am ersten September-Samstag eine Pride Demonstration durch die Doppelstadt Frankfurt/ Oder (Deutschland) und Slubice (Polen). Mit dabei: Chris (38) und Raffi (32) aus der queeren Community Nürnberg. Inklusive der neuen CSD Nürnberg Fahne. Für GAYCON stellen sie ihre Pride-Bilder zur Verfügung und schildern ihre persönlichen Demo-Eindrücke.
„Unsere Motivation, dabei zu sein, war die LGBTTIQ*-Community in Slubice und Frankfurt (Oder), gerade nach den Ereignissen in diesem Sommer in Polen, zu unterstützen. Und natürlich in Chris' ‚Heimatstadt‘ den ersten Pride mitzumachen! Wir fanden es super, dass die Stadt diese Premiere überhaupt veranstaltet hat. Noch besser, dass sie Slubice als Doppelstadt dazu genommen haben, um mit deutschem Schutz queere Polen zu unterstützen“, berichtet Raffi. Chris ist nämlich in Groß Lindow geboren und aufgewachsen. Ein kleines Dorf mit rund 2000 Einwohnern etwa 18 km südlich der rund 60.000 Einwohner zählenden Stadt Frankfurt (Oder). „Die Stimmung während der Demonstration auf polnischer Seite war bedrückend. Der Ton der Veranstalter war sehr laut, forsch und wütend. Das lag wahrscheinlich auch ein bisschen an dem Polizeiaufgebot. Die Straßenseiten waren gesäumt mit Polizei in Schutzausrüstung wie Helmen, Schlagstöcken und Schutzschildern. Es gab eine strenge Einhaltung von Hygienemaßnahmen mit wiederholter Androhung, die Demo jederzeit zu beenden, sollte dagegen verstoßen werden“, betonen Chris und Raffi ihre Eindrücke. „Dazu gab es noch Gegendemonstranten auf polnischer Seite, die über Megaphone liturgische Gesänge und Gebete angestimmt hatten.“ Während der Pride Demo ist Drag Queen sowie politische Aktivistin Gloria Viagra vorneweg gelaufen und hat per Mikro Stimmung unter den zahlreich erschienenen Teilnehmern verbreitet. „Auf dem Weg über die Brücke rüber nach Frankfurt (Oder) wurde alles etwas lockerer. Die Regenbogenfahnen wurden höher gehoben. Es wurde ausgelassen gelacht. Die Anspannung fiel sichtlich von allen ab. Die Polizei auf deutscher Seite hatte keine Schutzausrüstung und keine Schlagstöcke. Sie hatten eine deutlich entspanntere Haltung und sichtbar weniger Personal auf der Strecke durch die Stadt“, so Chris und Raffi. Bei der Kundgebung war der Landrat von Slubice als einziger offizieller Vertreter der polnischen Seite vor Ort. Der Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) René Wilke betonte, dass die queere Community keine Sorge haben müsse, in Frankfurt nicht willkommen zu sein: „Wir wollen euch!“
Wahlheimat Nürnberg
Chris und Raffi haben sich 2017 im Haus33 kennengelernt und sind seit über drei Jahren ein Paar. Regelmäßig besuchen sie die verschiedensten Aktivitäten der Community in der Frankenmetropole. Zum Beispiel den ‚Rainbow Run‘ und die ‚Pride-Menschen-Kette‘ 2020. Seit 2014 lebt Chris nun in Nürnberg. Sein Lebenspartner Raffi ist im hessischen Lauterbach aufgewachsen und lebt seit 2001 in Franken, seit 2011 ebenfalls in der Noris. Beide fühlen sich sehr wohl in der fränkischen Stadt. Darum hatten sie zum ‚Heimat‘ - Pride die CSD Nürnberg Design Fahne mitgenommen, um auch fränkische Präsenz zu zeigen. „Direkt darauf angesprochen wurden wir nicht. Wir hatten aber das Gefühl, dass die Leute zweimal hinschauten und die Fahne gut fanden. Wir sind stolz, dass wir beim ersten Pride in Frankfurt (Oder) dabei waren und gleichzeitig die queere polnische Community fördern konnten. Der Pride war ein voller Erfolg, denn die Veranstalter rechneten mit maximal 300 Teilnehmern. Doch es waren knapp 800! Alle waren überwältigt von der Unterstützung.“
Hintergrund
Aktuell sorgen rund 100 selbst ausgerufene „LGBT-freie“ Zonen in polnischen Kommunen für Aufregung in der Community und in den Medien. Inzwischen hat sich auch schon die Europäische Union zum Thema eingeschaltet. Zusätzlich geraten LSBTTIQ*-Menschen im polnischen Alltag durch Diskriminierung oder durch hetzerische Kampagnen weiter unter Druck. In der Doppelstadt Frankfurt (Oder) auf deutscher Seite in Brandenburg und der polnischen Nachbarstadt Slubice (ehemals Frankfurter Stadtteil Dammvorstadt) erfolgte nun eine Christopher Street Day Premiere auf beiden Stadthälften. Denn die Bürger wollten etwas tun, um ein sichtbares Zeichen zu setzen. Darum hatte sich eine unabhängige Gruppe von rund 20 Aktivisten aus beiden Städten zur Organisation einer Pride-Demonstration formiert. Ziel war es, auf die kaum sichtbare Infrastruktur für queere Menschen in der Doppelstadt hinzuweisen. Außerdem Solidarität mit der LGBTTIQ*-Community in Polen auszudrücken. Deshalb lautete ihr Aufruf: „Die Doppelstadt soll ein sicherer Ort für alle Menschen sein“.
Text: Norbert Kiesewetter
Fotos: Raffi
GAYCON September 2020