Coburg ist bunt
Ein neues Männerprinzenpaar aus Franken! Seit der ersten Prunksitzung der Karnevalgesellschaft „Coburger Narrhalla“ im Januar 2017 sind Ralf (47) und Mathias (36) Kühne offiziell im Amt. Die Würdenträger Ralf I. & Mathias I. nahmen das Marketing-Motto „Coburg ist bunt“ beim Wort und haben ihre Orden entsprechend mit einem Regenbogen entwerfen lassen. Die Farben der LSBTI-Szene sollen auch deutlich machen, dass noch längst nicht alle Rechte gleichgesetzt sind. Als hoheitlicher Besuch kamen die frisch gekürten Prinzen nun zum Interview in die Frankenhauptstadt. Die Nürnberger Burg lag standesgemäß zum Fotoshooting im besten Sonnenlicht. In den Jahren 2015 und 2016 regierten Gerald Fischer und Dirk Stauch bei dem „Langstädter Fousanachtern“ in Küps/ Oberlangenstadt im Landkreis Kronach die zweijährige Faschingssaison als erstes fränkisches Männerprinzenpaar überhaupt (GAYCON berichtete).
Während in anderen Städten schon beim Rathaus-Sturm die Faschingsprinzenpaare bekanntgegeben werden, wird dies in Coburg traditionell bei der ersten Prunksitzung vollzogen. Jedes Jahr ist das ein wochenlang bestgehütetes Geheimnis. Heuer war die Überraschung nochmal größer. „An einem Sonntagnachmittag im Oktober 2016 wurde ich über WhatsApp gefragt, ob mein Mann zuhause sei und ob wir sitzen würden. Da wussten wir Bescheid. Denn vor zwei Jahren war es schon mal im Gespräch, dass wir das Prinzenpaar sein sollten. Doch damals konnten wir aus beruflichen Gründen nicht. Diesmal haben wir schnell zugesagt“, erzählt Mathias. „Das Schwierigste danach war, nun die Klappe zu halten. Nur ein kleines Orgateam wusste Bescheid. Deswegen war es auch für den überwiegenden Teil der Narrhalla-Mitglieder eine Überraschung. Sie stehen aber alle hinter uns.“ Ralf und Mathias bedanken sich auch beim Orgateam für die tolle Hilfestellung in der Vorbereitungszeit auf ihre aktuelle Rolle. Damit wurde viel innere Unruhe schon im Vorfeld weggenommen.
Aufmerksamkeit nutzen
Interessanterweise sind Ralf (von Beruf freier Radiomoderator) und Mathias (beruflich Küchenmonteur) keine Mitglieder im Karnevalsverein. Jeder kann sich als Prinzenpaar bewerben oder wird von der Narrhalla direkt gefragt. Ralf war als DJ bei früheren Faschingspartys aktiv, ein gewisser Kontakt bestand also schon. „Erst in den letzten zwei Jahren hat das Thema Fasching bei uns an Bedeutung gewonnen. Für uns steht es für viel Spaß, neue Leute kennenlernen, mit Freunden weggehen und Party machen“, lacht Ralf. „Nun lernen wir die zweite Seite kennen, denn die Narrhalla setzt sich auch für soziale Projekte ein, organisiert Flohmärkte, sammelt Spenden. Die Besuche in Kindergärten und ganz besonders das Tanzen mit den Bewohnern in den Altenheimen hat eine wichtige Tradition.“ Als schwules Paar wollen sie aber auch die Aufmerksamkeit nutzen, den Finger heben und ein Zeichen setzen. Nicht ohne Grund ist auf dem Faschingsorden auch ein Regenbogen symbolisiert. „Unser Ziel ist es, Toleranz und Akzeptanz weiter zu vertiefen. In der heutigen Gesellschaft muss es möglich sein, so zu leben, wie jeder möchte. Die Gleichberechtigung zwischen Hetero- und Homosexuellen muss vollständig sein. Wir haben gleiche Pflichten, aber noch nicht die gleichen Rechte“, betont Ralf. „Solange Eltern eher darauf hören, was die Nachbarn sagen, als dass ihr eigenes Kind glücklich wird, sind wir noch nicht am Ziel. Nach eigenen Erfahrungen steht man als Sohn oft unter hohem Erwartungsdruck. Erst Jahre später merkt man, dass man damit einen falschen Weg genommen hat. Das kann einen Menschen kaputt machen. Deswegen ist das Signal ‚wir stehen als Familie hinter dir‘ so wichtig.“ Dass die Selbstmordrate unter LSBTI-Jugendlichen deutlich über dem Durchschnitt liegt, stimmt die beiden traurig. Oder dass ein Coming out im beruflichen Umfeld oft immer noch ein „Gedöns“ hervorruft, wie etwa bei schwulen Lehrern. Hier sei der argumentative Unterschied, der oft von ‚besorgten Eltern‘ kommt, überhaupt nicht gerechtfertigt. Leider hätten hier noch viele Gegner ein leichtes Spiel.
Stadtbekannt
Die Ernennung zum Prinzenpaar hat sich im beruflichen und im privaten Umfeld ausschließlich positiv ausgewirkt. Für das Paar ist es trotzdem ungewohnt, nun gemeinsam auf der Bühne zu stehen. „Plötzlich ist eine ganz persönliche Komponente dabei, anders als bei x-beliebigen Veranstaltungen. Im Alltag treten wir schon immer selbstbewusst als Paar auf. Egal ob an der Supermarktkasse oder wo auch immer. In einem Coburger Magazin wurden wir mal als gleichgeschlechtliches Paar vorgestellt. Zum Thema Homosexuelle im Dorf, im ländlichen Raum und in der Stadt. Während ein lesbisches Paar anonym dargestellt wurde, ist unser Bekanntheitsgrad durch den Artikel gestiegen“, erinnert sich Mathias. „Aber einen Treffpunkt für die Szene gibt es hier nicht. Versuche, einen schwulen Stammtisch in Coburg zu etablieren, scheiterten an mangelnder Teilnahme. Das finden wir sehr schade.“ Vor vielen Jahren gab es noch die LSBTI-Selbsthilfegruppe Colibri, welche sich ebenfalls aus Mangel an Mitgliedern aufgelöst hatte. Wenn Ralf und Mathias Lust auf Szenepartys verspüren, dann fahren sie nach Würzburg, Bamberg oder nach Nürnberg.
Überzeugte Franken
Seit acht Jahren sind Ralf und Mathias schon zusammen. Im September 2012 haben sie geheiratet. Kennengelernt haben sie sich über die blauen Internetseiten. „Eigentlich hatte ich keine Beziehung gesucht. Das Scheitern meiner vorherigen Partnerschaft lag noch nicht lange zurück. Es war eigentlich eine ungünstige Zeit. Doch Mathias ließ nicht locker und hat mich auf dem Coburger Sambafestival schnell vom Gegenteil überzeugt“, grinst Ralf. Die beiden Männer sind überzeugte Wahlfranken. Mathias ist in Leipzig geboren und in Dresden aufgewachsen. Seine Familie übersiedelte in die fränkische Stadt Schweinfurt, als er 13 Jahre alt war. Seit 2010 ist Mathias nun in Coburg daheim. Ralf ist in Görlitz geboren, lebte in Thüringen. „Als sechsjähriger Junge verkleidete mich meine Mutter zu einer Faschingsveranstaltung als halb Braut und Bräutigam. Prompt wurde das als schönstes Kostüm prämiert. Somit hat meine Mutter den Grundstein für meine heutige Rolle gelegt. Sie ist also verantwortlich“, lacht Ralf. Seit 1990 lebt er in Oberfranken, zunächst in Kronach und Lichtenfels, bevor er in die Vestestadt zog, die rund 41.000 Einwohner zählt. „Wir fühlen uns wohl in Coburg. Die Bevölkerung hat genau die richtige Mischung. Die Stadt ist nicht zu klein und nicht zu groß“, beschreibt Mathias die lieb gewonnene Heimat. „Auch der Bürgermeister hat uns schon zur Ernennung als Prinzenpaar gratuliert. Auf die gelegentliche Frage von Neugierigen, wer von uns die Prinzessin sei, antworten wir ‚diejenige die das Kleid trägt‘. Dann gucken sie auf unsere Anzüge und merken, wie lächerlich die Frage war.“
Text / Fotos Norbert Kiesewetter
GAYCON Februar 2017