Paradies im Garten
Schwabacher Burgersgarten feat. CSD Nürnberg
Schwabach: Seit 2013 betreibt Holger Stark das Areal Burgersgarten (Badstr. 24) in Schwabach. Es ist mehr als nur ein Biergarten. Ein Ort mit großer Geschichte. Im März dieses Jahres heiratete Holger (50) seinen Mann Sven (41) im Nachbarort Kammerstein. Dort wurden sie als erstes Männerpaar vom Bürgermeister getraut. Im August verwandelt sich der Burgersgarten zum ersten Mal in eine offizielle Außenspielstätte des CSD Nürnberg Rahmenprogramms! Queer und Provinz? Das geht! GAYCON sprach mit Wirt Holger über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
„Ich finde es schön, dass sich etwas bewegt. Dass wir Außenspielstätte des CSD Nürnberg sind, spricht sich wie ein Lauffeuer rum, seit meiner Facebook-Nachricht. Eine große positive Resonanz kommt zurück. Manche verwechseln, dass es nun in Schwabach einen CSD gibt und wollen mitlaufen…“, lacht Holger. „Ich finde es toll, dass auch unser Oberbürgermeister so wild auf das Thema CSD ist und auch zwecks einer Regenbogenfahne am Rathaus gerade intern alles abklärt.“ Am Samstagabend den 6. August 2022 wird das Paradies Theater ein Open Air Gastspiel im Burgersgarten geben. Hier werden auch selbstverständlich die Pride Fahnen hängen. Doch der Kontakt zum Paradies besteht schon länger. Schon vor drei Jahren wollte Holger eine Travestie-Show als Event haben. Über Stammgäste kam der Kontakt zum Paradies Theater zustande. Doch die Nürnberger hatten Zweifel, in einem „Biergarten“ aufzutreten, denn eigentlich sollen die Gäste ins Theater kommen. Doch die Stammgäste ließen auch in Nürnberg nicht locker, bis der erste persönliche Kontakt vor Ort in Schwabach möglich wurde und man die Open Air Bühne ganz begeistert als gute Infrastruktur in Augenschein nahm. Doch dann kam der Lockdown. Zur Unterstützung des Paradies Theaters gab es 2020 und 2021 bereits vier Open Air Benefiz Show Events mit jeweils 8.000 Euro Erlös im Burgersgarten. Inklusive pure Emotionen.
Schwules Leben
Holger ist in Schwabach geboren und aufgewachsen. Mit 15 Jahren hatte er seine Lehre als Koch begonnen. Nach dem Ende der Ausbildung führte ihn sein Beruf u.a. nach Monte Carlo, Fuschl am See in Österreich und Fürth. Privat war er viel mit der katholischen Jugend, inklusive als Vorstand, und der typischen „Vereinsmeierei“ unterwegs. „In meinem ganzen Leben bin ich noch nie angefeindet worden. Die meisten vermuten es nicht! Mein Coming out hatte ich mit 22 Jahren. Es war damals nicht hipp, schwul zu sein. Das Thema war schwierig, gerade auch in der Verwandtschaft. Ich war nie der große Szenegänger und bin deshalb nicht so in die Szenekneipen in Nürnberg oder in andere Städte. Ich hatte mehr einen Hetero-Freundeskreis. Damit war es eher schwer, andere schwule Männer zu finden...“, erzählt Holger, der es persönlich unmöglich findet, wenn massiv Hetero-Männer angebaggert werden. „Mit den heutigen Internet-Portalen ist es viel einfacher, andere kennenzulernen. Erschwerend kam damals dazu, das viele Hetero-Männer auch noch modisch als ‚schwul‘ rumgerannt sind. Als Metrosexuelle.“ Da wurde die Partnersuche zum Glücksspiel. Doch der Liebesbote schlug ein paar Jahre später trotzdem zu und brachte einen Lebenspartner an seine Seite. 2004 - vor genau 18 Jahren wurden Holger und Sven vom Schicksal zusammengeführt. „Auf einer privaten Heteroparty habe ich meinen heutigen Mann kennengelernt. Er war der einzige weitere schwule Mann. Der Schwulenradar hatte zugeschlagen. Nach der Party telefonierten wir und der Stein kam ins Rollen. Wir waren beide solo zu dieser Zeit. Es war uns nicht bewusst, dass daraus eine inzwischen 18-jährige Partnerschaft inklusive Hochzeit entsteht“, erinnert sich Holger. „Wir haben uns zusammengetan und in Schwand ein Café aufgemacht. Doch es hat nicht funktioniert. Zwei Alphatiere rund um die Uhr zusammen, das geht einfach nicht. Wir hatten nur noch Positiv / Negativ als Thema über das Geschäft geredet.“ Heute arbeitet Sven in einer Führungsposition im Einzelhandel. Holger leitet die Geschäftsführung vom Burgersgarten. Aber Sven hilft bei den Events mit aus. Ende März diesen Jahres heiratete das Paar in Kammerstein. Gefeiert wurde natürlich im Burgersgarten.
Vom Voice zum Burgersgarten
Als Koch war Holger in der Gastronomie tätig. Von hier war es nicht weit zum ausschweifenden Nachtleben. Bis April 2000 betrieb er die Lack & Leder Disco „Voice – The Wave Club“ in der Rathausgasse der Schwabacher Altstadt und parallel war er am „Trend“ im Gewerbegebiet Falbenholz beteiligt. „In den zehn Jahren Nachtleben habe ich alles erlebt. Von Zuhältern, Nutten bis Gruppenorgien. Doch dann war ich am Scheideweg. Es war nicht mehr mein Leben“, betont Holger, dem der gestörte Nacht-Tagesrhythmus psychisch und zunehmend gesundheitlich zu schaffen machte. „Zum Voice Club kamen Gäste bis aus Würzburg und sogar München. Gleichzeitig eröffneten in Nürnberg die ersten Großraumdiscotheken als Konkurrenz. Das Stammpublikum war älter geworden, hatte geheiratet, Familie, und kam seltener. Und als der eigene DJ mit der Wave-Party abwanderte, war Schluss.“ Nach einigen Gastronomie-Jahren fiel der Augenmerk von Holger auf das verlassene Burgersgarten-Areal im Flusstal der Schwabach, direkt am Nadlersbach gelegen. Ein Ort mit Geschichte. Der Grundstein des Hauses zeigt die Jahreszahl 1794. Ursprünglich war es ein Bauernhof. Dann kam die Gastronomie, als gegenüber die Badeanstalt entstand, um die Badegäste zu versorgen. Deshalb auch „Badstraße“ als Adresse. Der Biergarten wurde als „Wirtschaftsgarten“ bereits 1834 beworben. Später wurde daraus der „Bürgersgarten“. Als in den 1930er Jahren die SS-Kaserne in der Nähe entstand, hatten die Nazi-Soldaten den Ort gerne für Feste auserkoren. Nach dem Krieg übernahmen die Amerikaner die Kaserne und die damaligen Wirtsleute waren sich nicht sicher, ob sie die Ausschanklizenz überhaupt wieder bekommen würden. Nachdem die US-Amerikaner kein Ü aussprechen konnten, wurde aus dem Bürgersgarten der „Burgersgarten“. Doch den Schwabacher Bürgern war das damals egal, denn sie benannten die Lokale grundsätzlich nach dem Namen der aktuellen Wirtsfamilie. Deshalb war „Pfaffenritter“ viele Jahre die Bezeichnung aus dem Volksmund. Kurios, das Haus diente sogar einige Jahre als Raiffeisenbank. Bis in den 80er Jahren die erste Bankfiliale im Stadtgebiet entstand. Die Oma von Holger Stark hatte zu dieser Zeit mit der Familie Pfaffenritter den Burgersgarten betrieben. Später hatte die Oma das Lokal sogar weitergeführt, unterstützt von der eigenen Familie. Da ist es nicht verwunderlich, dass Holger schon in jungen Jahren vor Ort war und er daher eine ganz besondere persönliche Verbindung zum Haus und zum Gastronomie-Leben hat.
Von der Ruine zum Eventgarten
„Durch einen Impuls heraus, hatte ich das Gefühl im September 2012 vorbei zu schauen, was aus dem Laden geworden ist. Das Gelände und das Wirtshaus waren in einem desolaten Zustand. Wir sahen einen Scherbenhaufen. Der Biergarten war komplett zugewachsen. Nach meiner Oma führten zwar für jeweils kurze Zeit ein paar Wirte das Haus. Doch dann war es sechs Jahre lang geschlossen mit den entsprechenden Folgen“, betont Holger. „Ich ging zum Besitzer, denn ich wollte den Laden betreiben. Er lehnte erst ab, weil er kein Geld für die Renovierung investieren wollte. Wir machten einen Deal: mit jahrelang gleichbleibender Pacht, dafür investierte ich in das Areal. Jeder hatte mich für blöd gehalten, aber jetzt steht alles wie eine Eins da. Der Ort hatte die Seele verloren. Wir geben ihm die Seele zurück.“ Fast alles wurde in Eigenleistung und mit Hilfe vieler Freunde renoviert. Nur für die speziellen Fälle wie Elektro oder Heizung kamen Handwerkerprofis vorbei. Angeleitet von YouTube-Videos hatten Holger und sein Mann u.a. selber die Fliesen verlegt. Nach viel Schweiß, Schmutz und Arbeit, wurde 2013 die Wiedereröffnung groß gefeiert. Mit den Jahren bauten sie sich im Haus zusätzlich eine Vier-Zimmer-Wohnung aus. Schritt für Schritt wurden auch neue Bereiche wie Kinderspielplatz und Showbühne geschaffen. Die Anzahl der Musikevents steigt von Jahr zu Jahr. In der Sommer-Saison läuft der Betrieb sieben Tage die Woche in zwei Schichten am Tag. Im Bereich des Selbstbedienungs-Biergartens dürfen auch mitgebrachte Speisen verzehrt werden. Mit dem aktuellen Thema in der Gastronomie, dass Mitarbeiter fehlen, hat er nicht zu kämpfen. „Ich bin seit 30 Jahren in der Branche. Wir haben ein gutes Arbeitsklima und sind eine große Familie. Hier schaut jeder auf jeden. Vom alten Hasen bis zum jungen Hüpfer. Unser Grundkonzept ist Freude am Leben, Spaß bei der Arbeit und pünktliches Geld für die Mitarbeiter“, betont Holger, der insgesamt 68 Mitarbeiter beschäftigt inklusive Catering Service und Campingplatz bei Heideck. „Viele in Schwabach wissen, ich bin schwul. Manche tun sich auch leichter, mit mir über das Thema zu reden. Jeder weiß, wer mein Mann Sven ist. Es freut mich, dass die Biergartengäste so weltoffen sind.“
Text/ Fotos: Norbert Kiesewetter
Fotos: Privat
GAYCON Juni 2022