Chronologische Reihenfolge von oben nach unten: Bericht 2017 & 2012
Freunde queerer Kids
Zwischen Eltern aus den Reihen hartgesottener Religionsdogmatiker und solchen aus einem total liberalen Umfeld, die in beiden Extremen keinen Gesprächsbedarf finden werden, gibt es eine breite Mittelschicht an Eltern, die ihren queeren Kindern auf der Reise ins Leben auch in sexueller Hinsicht gut informierte Hilfestellung bieten möchten und die den Austausch suchen mit anderen betroffenen Mütter und Vätern.
Nach dem Outing eigener queerer Kinder stecken die Eltern, Verwandten und Freunde oft in einer eigenen Outing-Phase fest. Manche haben zwar überhaupt keine Probleme, dass ihr Sohn schwul, die Tochter lesbisch oder die Jugendlichen bisexuell sind. Andere machen sich Gedanken, was die Nachbarn denken könnten oder suchen vielleicht sogar eine Schuld bei sich selbst, ob sie wohl in der Erziehung etwas falsch gemacht hätten. Doch die sexuelle Orientierung ist einfach so, wie sie ist. Trotzdem leiden immer noch viele Heranwachsende darunter, dass sie sich von der breiten Masse unterscheiden. Besonders Eltern mit Transkindern stehen oft vor vielen Rätseln. Deshalb ist die Vernetzung und der Informationsaustausch mit anderen Müttern und Vätern wichtig. Heute ist es natürlich auch möglich, sich über das Internet zu informieren. Doch der persönliche Austausch eigener Erfahrungen hat den Vorteil, das man auf Gleichgesinnte in regionaler Umgebung trifft. Hier ist sogar noch mehr möglich: Bewusst Flagge für die eigenen queeren Kinder zu zeigen.
Seit Sommer 2017 gibt es dafür die neue Gruppe „Freundinnen, Freunde und Eltern queerer Kids“, die sich jeden ersten Dienstag im Monat ab 18:00 Uhr zum Austausch im Restaurant Literaturhaus (Luitpoldstr. 6) trifft. Sie springt damit in die Lücke der 2016 aufgelösten Elterngruppe von Fliederlich, welche über zwanzig Jahre gewirkt hatte, aber aus Mangel an Nachfrage für tot erklärt wurde. Mit dem Literaturhaus soll ein Treffpunkt auf neutralerem Boden mitten in der Altstadt stattfinden, um auch Berührungsängste gar nicht erst aufkommen zu lassen. Außerdem soll das neue Netzwerk nicht nur Eltern, sondern weitgefächert alle Personenkreise wie z.B. auch Großeltern ansprechen. „Unser Ziel ist, aus dem reinen Selbsthilfe- und Kummerkasten-Image wegzukommen. Wir wollen, dass unsere Kinder in einer Gesellschaft leben, in der es egal ist, wer wen liebt. Neben dem Erfahrungsaustausch ist uns auch mehr Öffentlichkeit wichtig, wie etwa deutlich sichtbarer beim Christopher-Street-Day aufzutreten. Wir wollen allerdings auch die Option haben, mal andere Festivitäten oder einfach gemeinsame Wanderungen in der Fränkischen Schweiz umzusetzen“, betont Neu-Gründerin Susanne Türk. „Mein Wunsch wäre eine regelmäßige Gruppenvernetzung aus acht bis zehn Familien. Damit könnten wir deutlich sichtbarer auftreten. Leider hat unsere Flyer-Aktion zum diesjährigen CSD Nürnberg keine Resonanz gebracht. Wir haben es noch nicht geschafft, neue Eltern für uns zu begeistern, obwohl seit dem Sommer auch unser Facebook-Auftritt aktiv ist.“
Motivation
Lange Jahre war Inge in der bisherigen Elterngruppe aktiv und freut sich über Susannes Interesse. Sie möchte nach einer Übergangszeit gerne den Stab an die nächste Generation weitergeben. „Solange man sich mehr Gedanken machen muss, wenn der Sohn seinen Partner öffentlich küsst, als bei einem Hetero-Paar, treibt mich die Tatsache an, die Gesellschaft über den Umgang mit LSBTI weiterzuentwickeln“, betont Susanne ihre Motivation. „Mein Vorbild ist die Münchner Elterngruppe mit 15 bis 20 Teilnehmern.“
„Ich möchte mit dem Treffen und meiner Mitwirkung Anschub leisten, dass LGBTI zur Normalität gehören. Außerdem ist meine Motivation, anderen weiterzuhelfen und Unterstützung zu geben“, so Alex. Er betont, dass die Transgenderthematik neben dem reinen Coming-out einen langen biologischen und verwaltungstechnischen Weg nach sich zieht. Dass ein Austausch unter Eltern mit vielen Erfahrungswerten und Tipps auch in Bezug auf die Auswahl von Psychologen und Ärzten hilfreich sein kann.
„Viele reden von Toleranz. Doch wenn dann der eigene Sohn schwul ist, verschwindet sie oft. Es gibt viele Möglichkeiten, mit kleinen Schritten über Veranstaltungen Partei zu ergreifen und somit zu zeigen, das es normal ist“, erklärt Jens seine Motivation, bei der Gruppe mitzumachen.
Die gesamte Gruppe ist überzeugt davon, dass es vom Einsatz jedes Einzelnen und seinen persönlichen Reaktionen abhängt, ob die Gesellschaft irgendwann so tolerant und vielfältig ist, wie alle Eltern es sich für ihre Kinder wünschen.
Nächstes Treffen am Dienstag den 7. November 2017 um 18:00 Uhr im Restaurant Literaturhaus (Luitpoldstr. 6). Jeden ersten Dienstag im Monat.
Kontakt per Mail: eltern@jugendinitiative.com
Foto/ Text
Norbert Kiesewetter
GAYCON Oktober 2017
Fallen Schwule vom Himmel?
Elterngruppe feiert 25jähriges Jubiläum bei Fliederlich- Jahresempfang
Der Vortragsraum im Fliederlich-Zentrum war wieder bis auf den letzten Platz besetzt, als Vorstand Sebastian Bobe die Gäste begrüßte, thematischer Schwerpunkt des Abends diesmal das Elterngruppen-Jubiläum. Musikalische Unterstützung durch die „Erfurter Freunde“ und ein leckeres Buffet bildeten den idealen Rahmen bei sommerlichen Temperaturen. Inge Breuling, Ansprechpartnerin der Elterngruppe, freute sich über zahlreich anwesende Politiker. „Das war früher nicht üblich“. Stadrätin Elke Leo (Bündnis 90/Die Grünen) übermittelte zunächst Grußworte von Landtagsvizepräsidentin Christine Stahl. Die Vertreterin der Partei, der Schwule und Lesben nach Lob durch Inge Breuling „wohl am meisten zu verdanken haben“, möchte das Thema Homosexualität verstärkt im Schulunterricht unterbringen. „Eine Akzeptanz ist durch Tabuisierung nicht möglich.“ Das Thema soll im Verbund Lehrer, Schüler und Eltern behandelt werden. Stadträtin Brigitte Reuter (SPD) überbrachte stellvertretend für Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly Grußworte. Weil Reuter in der Sportkommission sitzt, möchte sie gerne „das Thema mit der Schule plus Sport verquicken“. Stadtrat Marcus König (CSU) zeigte sich zuversichtlich, dass auch seine Partei sich in die pro-schwule Richtung entwickeln würde und „die Stadträte jedenfalls werden Fliederlich immer unterstützen“. Landtagsvizepräsident Jörg Rohde (FDP) hofft, dass das „75. Jubiläum einst nicht mehr gefeiert wird, weil bis dahin alles selbstverständlich geworden ist.“ Die neue Geschäftsführerin der AIDS-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth e.V., Christina Méndez Rodriguez findet, dass „die Elterngruppe wichtige Präventionsarbeit leistet“. Eine musikalische Überraschung der besonderen Art war der Auftritt der Elterngruppe als Chor. Viel Applaus bekam ihr extra einstudierter Song „Ja wir stehen zu unseren Kindern fest“.
Rita und Günter Ruff (beide 70) hatten 1982 die Elterngruppe gegründet, die heute um die 17 Personen umfasst, davon sechs Elternpaare. Nicht überall sind die Väter so aktiv dabei wie in Nürnberg. Inzwischen gibt es eine weitere Gruppe in Schweinfurt und Würzburg. Die meisten kommen aus der Metropolregion. „Die Entwicklung war damals nicht abzusehen. Die gegenseitige Hilfe, damit man nicht allein ist, ist am wichtigsten“, erzählt Günter Ruff. „Weil die Nachfrage da war und ist, hat es sich so ergeben. Fliederlich hat uns gut aufgenommen.“ Ein interessantes Erlebnis hatte das Paar, als sie bei einem früheren Anlass als Eltern homosexueller Kinder vorgestellt wurden. „Da klappten die Kinnladen runter. Die dachten wohl, Schwule fallen vom Himmel“, lacht Günter Ruff. Das Outing des eigenen Sohnes 1982 im Alter von 16 Jahren schmerzte anfangs sehr. „Ich hatte ein gewaltiges Problem damit, konnte es aber schneller verarbeiten als meine Frau“, erinnert er sich. „Die Zeit war eine ganz andere als heute. Was würden die Nachbarn sagen? Was ist mit AIDS? Meine Frau gab ein Interview in der Zeitung und weder Nachbarn noch Bekannte fanden damals den Mut, sie darauf anzusprechen. Sie waren froh, dass meine Frau den ersten Schritt tat.“
Text/ Fotos Norbert Kiesewetter
GIFT Magazin Juni 2012