30 Jahre Freundschaft zwischen Peter Liedl (links) und Marcel Schneider (rechts).
Echte Freunde
Gibt es in der heutigen medialen Welt überhaupt noch „echte“ Freundschaften? Was sind Merkmale einer guten Freundschaft? Hat jeder dazu andere Parameter? Laut dem Knaur-Lexikon sind Freundschaften „ein auf Zuneigung, Wohlwollen und Vertrauen beruhendes Verhältnis“. Zerstört Sex eine Freundschaft? Kann es unter schwulen Männern Freundschaften geben - ohne Sex? GAYCON forschte nach und fand ein Paar, welches seit 30 Jahren eine solche intensive Freundschaft genießt: Peter Liedl & Marcel Schneider. Sie beantworteten die identischen Fragen in getrennten Gesprächen.
GAYCON: Wann und wo, bei welcher Gelegenheit habt ihr euch persönlich kennengelernt?
PETER LIEDL: Weil ich damals in verschiedenen Szenelokalen gearbeitet hatte, kann ich die Örtlichkeit nicht mehr genau sagen. Ich schätze aber, dass es im Mr Henderson war. Nur die Begegnung mit Marcel habe ich genau in Erinnerung. Allerdings weiß ich auch nicht mehr, ob an diesem Abend eine große Party im Lokal gefeiert wurde.
MARCEL SCHNEIDER: Es war im Mr Henderson Ende Mai 1985. Ich war 16 Jahre alt, bei meinem ersten Besuch in der Szene. Mein erster Mann Wolfgang hat mich Peter vorgestellt, der als Aushilfskellner dort arbeitete. Er kannte ihn aus dem Why Not unterhalb der Burg. Ich saß ganz aufgeregt auf der Bank, in meiner kurzen Hose und mit langen blonden Locken. (Mr Henderson wurde später zum Walfisch, heute Restaurant Estragon, Anm.d.R. für unsere jüngeren Leser)
GAYCON: War es schon beim ersten Treffen klar, dass daraus eine tiefe Freundschaft werden würde?
PETER: Sofort, zweifellos, ja! Es war hundertprozentig, so wie Marcel sich gab und gibt.
MARCEL: Wir waren uns sofort absolut sympathisch. Wir fanden sofort Gesprächsthemen und hatten Spaß. Es war schon klar.
GAYCON: Wieviel weitere Freunde, die dir ähnlich viel bedeuten, hast du?
PETER: Eine genaue Zahl ist schwer zu sagen, natürlich habe ich noch weitere wichtige Freunde. Auch neugewachsene Freundschaften. Bei Marcel und mir, das ist einfach schon so lange klar, wir müssen uns nicht mehr bewähren.
MARCEL: Ich habe zehn enge Freunde, die alles wissen und die mir sehr wichtig sind. Sie nehmen mich wie ich bin, als ganz normalen Menschen. Hier ist der „Promifriseur“ kein Thema. Zwischen Peter und mir, das ist außergewöhnlich, gab es in den 30 Jahren nie einen Streit.
GAYCON: Was bedeutet Freundschaft allgemein/ welche Merkmale hat sie für Dich?
PETER: Ehrlichkeit, Bedingungslosigkeit und Natürlichkeit.
MARCEL: Verlässlichkeit, Verständnis, Toleranz, sich mal fallen lassen können, füreinander da sein. Auch gute Zeiten verbringen, gemeinsam viel Spaß haben und feiern. Nicht nur die negativen Erlebnisse teilen. Wir streben und fordern alle Toleranz von der Gesellschaft. Aber in der Szene wird viel geredet und getratscht gegeneinander. Egal ob Lederkerl, Transmann, Tunte usw., hier vermisse ich manchmal die Toleranz unter uns. Dabei muss man nicht alle Personen gleich als Freunde bezeichnen. Aber nicht bei allen so das Äußere bewerten.
GAYCON: Was ist Gift für eine Freundschaft? Was sollte man vermeiden?
PETER: Einfluss von außen zulassen, egal welcher Art, und Neid. Man muss wissen, dass es zwischen uns nie sexuelle Freundschaft war. Vielleicht sollte man vermeiden, dass man sich verliebt. Ich liebe Marcel jedoch als Mensch. Bei unserem Kennenlernen war ich damals solo und er in einer Beziehung.
MARCEL: Eifersucht und Neid ist ganz schlecht. An einer Freundschaft muss man arbeiten und sie sollte auch etwas aushalten. Deshalb ist es wichtig, den anderen so zu respektieren wie er ist. Peter und ich sind Gerechtigkeitsfanatiker, somit stehen wir uns nicht im Weg.
GAYCON: Euer schönstes gemeinsames Erlebnis?
PETER: Es gab die ganze Zeit viele schöne Momente. Ich habe mich immer gefreut und wir haben tolle Partynächte in Nürnberg und München verbracht. Mit seinem türkisfarbenen BMW sind wir nach München gedüst, das war Klasse. Wir haben überall so gut reingepasst. Man kannte uns auch überall und wir waren immer gleich angezogen. Meistens bauchfrei.
MARCEL: Es gab sehr viele. Unsere Kneipenzeit in Nürnberg und die Ausflüge nach München, da hatten wir viel Spaß und Aufregungen. Ich erinnere ich an eine Fahrt nach München, als in Peters neuem Gebrauchtwagen plötzlich der Boden voller Wasser war und wir es über einen Stöpsel ablassen mussten. Emotional war unser Wiedersehen nach langer Trennung im Cartoon, als die Tränen flossen. Heute sind wir ständig im regen SMS-Kontakt. Zum Beispiel in der Natur bei Wanderungen denken wir aneinander und schicken uns Fotos, je nachdem wo wir gerade sind. Ich hatte nie Sex mit Peter, es wurde uns oft unterstellt. Aber wir drücken und knuddeln uns, ich liebe Peter.
GAYCON: Euer traurigstes/ schlimmstes gemeinsames Erlebnis?
PETER: Es war fürchterlich, Marcel trauern zu sehen, als sein damaliger Partner schwer erkrankte und danach verstorben ist.
MARCEL: Ihn unendlich traurig wegen Jeremy zu sehen. Das Ende der Beziehung war ganz schlimm. Oder damals das Sterben meines ersten Partners Wolfgang. Und auch, dass ganz viele gemeinsame Bekannte damals an AIDS gestorben sind.
GAYCON: Kann eine Freundschaft wachsen? Unter welchen Voraussetzungen?
PETER: Eine harmonische Freundschaft wächst mit den Erfahrungen, Situationen, die man gemeinsam durchlebt. Sie wächst natürlich immer weiter, wird damit beständiger und fester. Ich gebe es offen und gerne zu, ich stehe zu meiner Freundschaft mit Marcel. Ich wünsche mir, das andere auch so einen Freund finden. Das ist nicht selbstverständlich.
MARCEL: Freundschaften wachsen immer. An positiven, wie auch an traurigen und negativen Erlebnissen.
GAYCON: Kann eine Freundschaft längere Kommunikationspausen vertragen?
PETER: Ja selbstverständlich. In den 30 Jahren waren wir durch unseren jeweiligen beruflichen Werdegang lange Jahre auch getrennt. Ich hatte keine Telefonnummer und wusste nicht, dass er inzwischen einen eigenen Friseursalon unter dem Namen byMarcel führt. Als ich von der Gastronomie in die Schichtarbeit bei der Luftfracht der Deutschen Post am Nürnberger Flughafen wechselte, hatten wir keine gemeinsame Zeit mehr. Als das Nachtflugverbot kam, wurde mein Arbeitsplatz quasi innerhalb von 48 Stunden nach Köln verlagert. Es blieb keine Zeit zum Verabschieden. Später war ich jahrelang bei der DHL in Leipzig stationiert und habe Marcel zufällig in der TV-Sendung „Das perfekte Dinner“ bei VOX wiedererkannt. Ich war ganz hysterisch und schrie vor Freude. Über das Internet habe ich recherchiert und zwei Tage später rief ich in seinem Salon an und war so aufgeregt, als würde gleich der Präsident der Vereinigten Staaten den Hörer abnehmen. Bei nächster Gelegenheit trafen wir uns in Nürnberg. Wir haben uns gefühlt, als wären wir erst einen Tag davor auseinander gegangen. Genau solche Freundschaften hatten mir all die Jahre in den anderen Städten gefehlt. Deshalb beschloss ich 2010, wieder nach Nürnberg zurückzukehren.
MARCEL: Definitiv, klar! Durch seinen Beruf bei der Post ist Peter von heute auf morgen aus Nürnberg verschwunden. Im Freundeskreis hatten wir alle gerätselt, was los war. Ich kann mich entsinnen, dass er aus Köln einmal nach Nürnberg kam. Wir haben uns im Vicking Club getroffen. Berufsbedingt hatten wir auch lange Jahre keinen Kontakt mehr. Nachdem er mich über die TV-Sendung wiedergefunden hatte, habe ich erfahren, dass er Leipzig verlassen wollte.
GAYCON: Wie schätzt Ihr euch ein: Welche drei Dinge würdest Du auf eine einsame Insel mitnehmen? Was denkst Du, würde Marcel/ Peter mitnehmen?
PETER: Meinen Partner, wenn ich einen hätte. Marcel würde seinen Heinz mitnehmen.
MARCEL: Musik egal in welcher Form, Lesestoff und eine Hand voll engste Freunde. Peter würde ebenfalls engste Freunde mitnehmen und Musik. Schließlich hatte er am Theater mal eine Gesangsausbildung und Musikunterricht genommen. Übrigens, unser gemeinsames Lied ist „Somewhere over the Rainbow“. Peter ist auch ein extrem gepflegter Mensch, deshalb schätze ich, dass er viel Wert darauf legen würde, irgendein Körperpflegeprodukt mit auf die Insel zu nehmen.
GAYCON: Was wäre dein Wunsch, was würdest Du gerne mit Marcel/ Peter noch machen?
PETER: Ich möchte weiterhin mit ihm befreundet sein. Das reicht mir aus. Ansonsten würde ich gerne mal eine Reise mit ihm machen. Gemeinsam den ganzen Tag verbringen, vom Frühstück über Mittag bis zum Abend. Das ist schwierig, weil wir unterschiedliche Arbeitszeiten haben. Und ich will gerne miterleben, wie seine politische Zukunft funktioniert.
MARCEL: Gerne würde ich mit Peter auf Gran Canaria Urlaub machen. Das kann ich mir toll vorstellen. Oder eine Wandertour. Gemeinsam die Natur genießen, anschließend ein schönes Abendessen und zum Ausklang ein paar Gläser Rotwein. Das kommt noch, definitiv zu hundert Prozent.
GAYCON Juni 2015
Fotos/ Text Norbert Kiesewetter
Fotos Privat