Cronologisch von oben nach unten: Interview (2017), Konzertfotos (2015), Interview (2012)
Lampenfieber & Andrenalin-Kick
GAYCON nachgehakt: Menschen mit Behinderung plus Liebesleben - ist das ein Tabu? Wie lebt es sich in der Welt der überwiegend „gesunden" Menschen? Fragen, denen man gerne ausweicht. Bei der tatsächlichen Konfrontation bleiben deshalb viele sprachlos, aus Mangel an Informationen. Die Fürther Sängerin Leonie Neubert (34) geht inzwischen im Alltag selbstbewusst mit ihrer Seh- und Mobilitätsbehinderung um. Seit vier Jahren ist sie mit Ihrer Freundin Isolde (56) zusammen. 22 Jahre Altersunterschied spielen eine untergeordnete Rolle.
Beim Interview im Café an der Fürther Freiheit liegt der Blindenführhund Diego brav unter dem Kaffeetisch. Während Leonie auf unsere Fragen mit Ideen, Plänen und Tatendrang förmlich aus sich heraussprudelt. Dieser Perspektivvergleich verdeutlicht, wie Menschen ohne wesentliches Handicap lächerliche Ereignisse oft überbewerten. Leonies Sehbehinderung beschränkt ihren Wahrnehmungsbereich im Tunnelblick auf einen Punkt. Eine teilweise Lähmung bereitet ihr täglich Schmerzen beim Laufen. Auch aus diesem Grund geht sie ins Fitnessstudio, um die verbliebene Mobilität zu erhalten und zu stärken. So bringt sie sich in die Lage, ein ganzes Konzert live zu singen, und macht bei so manchen Stadtläufen mit. Sie engagiert sich seit September 2016 auch im Behindertenrat der Stadt Fürth.
„Ich will mich in meiner Heimatstadt mehr engagieren, gerade auch in Bezug auf Menschen mit Behinderung. So ist Fürth zum Beispiel immer noch nicht barrierefrei. Diese Erfahrungen und meine regionale Bekanntheit möchte ich nutzen, um die Stadt für alle noch lebenswerter zu machen“, beschreibt Leonie ihre Motivation. „Wenn ich Oberbürgermeisterin wäre, würde ich als erstes den Fürther Hauptbahnhof behindertengerecht ausbauen, mit Aufzügen auf jeden Bahnsteig. Alle Geschäfte und die Gastronomie dafür sensibilisieren, dass ein Blindenhund eine komplette Verhaltensausbildung hinter sich hat und die Funktion des Sehens übernimmt.“ Bei den Graden des Blindseins gibt es gravierende Abstufungen. Die meisten Menschen gehen davon aus, Betroffene würden grundsätzlich absolut nichts sehen. Diese tragen dann häufig eine dunkle Sonnenbrille. „Die Leute halten mich manchmal für eine Schwindlerin, weil ich mein Handy bedienen kann oder ins Kino gehen möchte. Mein Sichtfeld ist sehr klein, aber ich kann trotzdem noch etwas erkennen. Mein Hund Diego ist meine Hilfe für den Alltag in der Stadt. Er führt mich sicher durch die Straßen“, betont Leonie. Zweifler sollten mal einen Tag lang nur durch die Küchenrolle blicken. Das ist wenig lustig, dafür aber hochgefährlich, im Wahnsinn des täglichen Straßenverkehrs. „Es gibt eine spezielle Blaue Karte für Behindertenfahrten mit dem Taxi. Leider habe ich schon oft die Erfahrung machen müssen, dass mich Taxifahrer nicht befördern, weil Hunde stinken oder Haare verlieren würden. Hier hoffe ich auf insgesamt mehr Verständnis im Zusammenleben in der Zukunft.“
Zumba im Wasser
Noch heute wird Leonie häufig von jungen Menschen auf der Straße erkannt, weil sie bei der TV-Casting-Show „Supertalent“ im Jahr 2011 dabei war. Unter 40.000 Bewerbern kam sie bis ins Halbfinale. Die TV-Ausschnitte können immer noch im Internet angeschaut werden. Seitdem ist sie als Sängerin im Großraum Nürnberg auf den verschiedensten Veranstaltungen unterwegs. Egal ob beim CSU-Ball in der Meistersingerhalle, ihrem eigenen Konzert im Stadtmuseum Fürth oder auf Benefizveranstaltungen. Sie behauptet sich überall, geht auch in konservativen Kreisen offen mit ihrer lesbischen Partnerschaft um. Inzwischen hat sie sich eine umfangreiches Künstlerspektrum erarbeitet: Oper, Operette, Musical, Gospel, Kunstlieder. „Seit März 2016 habe ich eine neue Gesangslehrerin aus dem Chanson- und Musicalbereich. Wir harmonieren super. Es ist wahnsinnig anstrengend, weil sie mir eine vorteilhaftere Haltung beigebracht hat und damit andere Muskeln zum Singen beansprucht werden als vorher. Durch eine neue Singtechnik entdecke ich neue Tonlagen, Höhen und Resonanzen. Zusammen öffnet es mir ein neues Volumen, das ich vorher nicht kannte“, erzählt Leonie begeistert. „Seit zwei Jahren gehe ich regelmäßig ins Fitnessstudio, auch hier merke ich positive Veränderungen. Ich hatte jahrelang das Zusammenspiel der Muskeln fehlbelastet. Am liebsten mag ich die Aqua-Kurse wie etwa Zumba im Wasser. Es tut mir gut, wie sich meine Körperform durch den Sport verändert. Auch meine Bühnenpräsenz hat sich dadurch verbessert.“ Generell ist Leonie experimentierfreudig. Interpretationen müssen nur an ihre klassische Gesangsart angepasst werden. Bei Wunschliedern auf Hochzeiten lernt sie speziell für das Event.
Lampenfieber
Vor vier Jahren haben sich Leonie und Isolde in Erlangen im Multiplexkino Cinestar zum ersten Mal gesehen. Wie in jeder Beziehung gibt es gelegentlich Höhen und Tiefen. Aber grundsätzlich sind sie ein gut eingespieltes Team, sowohl privat als auch beruflich. Isolde ist gleichzeitig Managerin von Leonie. „Sie hilft mir beim Umziehen während der Konzerte und bedient die Technik für meine Musik. Oder motiviert mich hinter der Bühne. Kurz vor den Auftritten habe ich nämlich wie jeder Künstler Lampenfieber. Mein Nervenkostüm liegt blank, weil ich mich auf den Gesang konzentrieren muss. Bis der Auftritt gelaufen ist, dann habe ich einen Adrenalin-Kick“, lacht Leonie. „Ich kann mich auf Isolde hundertprozentig verlassen. Sie weiß, dass ich bei Shows Leitungswasser und einen Stuhl zum Ausruhen brauche. Wir sind ein super Team. Wenn es bei Konzerten zu technischen Problemen kommt, Isolde findet eine Lösung.“ 22 Jahre Altersunterschied haben zu Beginn der Beziehung Diskussionen in Leonies Familie ausgelöst. Ihre Mutter ist nur fünf Jahre älter als Isolde. Aber inzwischen hat die Akzeptanz gesiegt. Stattdessen ist die Mutter beim CSD oder beim Szenebesuchen manchmal dabei. Isolde hat es hier vor allem bei ihrer eigenen Mutter schwerer. Aus Mangel an Verständniswillen wurde das Thema Homosexualität grundsätzlich nie angeschnitten. Aber inzwischen gab es lange Gespräche.
Text/ Fotos Norbert Kiesewetter
GAYCON Juni 2017
Opernsängerin als Traumberuf
Die Fürtherin Leonie Neubert (28), bekannt aus der Castingshow „Das Supertalent“/ RTL 2011, erzählte LEO exklusiv, dass sie zur queeren Familie gehört.
Vor einigen Monaten beeindruckte Leonie die Jury und die TV-Zuschauer mit ihrer Vorstellung von Puccinis ‚O Mio Babbino Caro’. „Meine lesbische Neigung hatte ich bewusst aus der Sendung herausgehalten. Ich wollte nicht, das RTL diese Information platt drückt“, erinnert sich Leonie. „Durch meine Behinderung war sowieso schon viel Wirbel“. Im Alter von drei Monaten erkrankte Leonie Neubert an Gehirnentzündung. Seitdem ist sie sehbehindert und hat eine linksseitige Spastik. Ihr Blindenhund Diego, ein Labradorrüde, ist stets an ihrer Seite. Etwa alle zwei Monate besucht Leonie eine der großen rosa Partys in Nürnberg. Hier darf Diego nicht rein, also muss erstmal ein Hundesitter gefunden werden. „Viele denken, ich wäre aus Solidarität auf den Partys. Anscheinend sehe ich nicht wie eine typische Lesbe aus“, meint Leonie. „Ich wurde nie gefragt. Ich würde mich aber freuen, wenn ich mehr Freundinnen aus der Szene hätte!“ Im August 2011 hatte Leonie zum ersten Mal den Nürnberger CSD besucht. „Leider gerät hier bei vielen Besuchern die eigentliche Botschaft etwas in den Hintergrund der Party“, erinnert sich Leonie. „Meine Familie hatte nie Probleme mit meiner Homosexualität“. Mit 18 Jahren hatte sie ihre lesbische Seite bewusst für sich entdeckt und mit 22 Jahren die ersten Berührungen mit einer Frau.
Als Kind hatte Leonie schon Lieder gesummt, da konnte sie noch nicht sprechen. Später kam Klavier spielen und die große Leidenschaft Gesang dazu. Es sind einzelne Musikstücke, die Leonie faszinieren, egal aus welcher Sparte. Klassische Stücke, besonders Mozart, sind allerdings mit Abstand Ihre Lieblinge. Gelernt hat sie Bürokommunikation, ist außerdem staatlich geprüfte Gesangslehrerin, weil die Eltern eine „gscheite“ Ausbildung für Ihre Tochter wollten. Im Moment arbeitet sie als Callcenter Agent. „Mein absoluter Traum ist es Opernsängerin zu werden und in der Welt herum zu reisen“, strahlt Leonie. „Meine Wunschrolle wäre die ‚Gretel‘ aus Engelbert Humperdincks berühmter Oper.“ Im März hatte Leonie Neubert im Stadttheater Fürth ihren ersten Auftritt mit Orchester. Am 5. Mai 2012 zeigt sie ihre Sangeskünste auf der 30. Benefiz-Gala von Friseurmeister Marcel Schneider im Nürnberger Congress Hotel Mercure an der Messe.
Text/ Fotos Norbert Kiesewetter
LEO-Magazin April 2012
Fotos Herbst 2012