Chronologisch von oben nach unten: Trauer um Kelly Minaj (2025), Divenrausch (2010)
Trauer
Paradies Theater: Kelly ist verstorben
Die queere Community in Nürnberg trauert: Die beliebte Künstlerin Kelly Minaj alias Deny Achbar ist plötzlich und unerwartet verstorben. Mit nur 46 Jahren ist sie am dritten März-Donnerstag über die Regenbogenbrücke gegangen. Das Paradies Theater Nürnberg reagiert geschockt und ist fassungslos. Seit 15 Jahren stand Kelly hier regelmäßig in den Travestie-Revue-Shows mit auf der Bühne. Kelly begeisterte alle mit ihren Darbietungen, Verwandelbarkeit, Charme und verzauberte mit ihrer Herzlichkeit und mit ihrem strahlenden Lächeln. „Wir sind noch ganz sprachlos. Eigentlich war Kelly wegen einer Lungenentzündung daheim. Weil der Freundeskreis längere Zeit nichts von ihr hörte und sich Sorgen machte, schauten sie nach und fanden sie tot im Bett“, berichtet Thomas Heber, Chef vom Paradies Theater, erschüttert. „Was genau die Todesursache ist, keine Ahnung. Nur direkte Familienmitglieder bekommen eine ärztliche Auskunft“. Eine länger zurückliegende Krebserkrankung galt als ausgeheilt. Kelly kam vor vielen Jahren aus Indonesien nach Deutschland. In Hamburg lernte sie ihren Mann kennen. Sie folgte ihm der Liebe wegen 2009 nach Nürnberg. Leider hielt die Beziehung nicht, vor vier Jahren haben sie sich freundschaftlich getrennt. In Nürnberg zeigte Kelly ihre ersten Shows auf Galas in der Savoy Bar. Zuschauende bekundeten begeistert, „das wäre etwas für das Paradies“. Darauf hat sich Kelly erfolgreich beim Paradies Theater beworben. Sie bewies ihr Talent bei zahlreichen Events auch überall in der Community, und es wären ihr viel mehr als nur 15 Jahre auf der Revue Bühne gegönnt gewesen. Doch sie wurde mitten aus dem Leben gerissen. Kelly sollte ursprünglich die letzte Ruhe bei ihrem Familien-Freundeskreis in Indonesien finden. Doch die Überführungskosten sind zu hoch. Es wurde eine Spendenaktion ins Leben gerufen, damit eine angemessene Beerdigung in Nürnberg ermöglicht werden kann. Diese war sehr erfolgreich. Inzwischen ist Kelly auf dem Südfriedhof beerdigt. (NK)
GAYCON März 2025
Divenrausch im Himmlischen Garten
Die Geschichte des Paradies Revue Theaters in Nürnberg
Seit 32 Jahren eine Nürnberger Institution, neben dem Hamburger Pulverfass Deutschlands einzig verbliebene traditionelle Travestiebühne. Wir sprachen mit dem Gründer Roland Müller und mit Peter Schneider, seit 1990 Eigner und Direktionsleiter des Theaters. Der Nürnberger Gastronom Roland Müller wurde 1966 im Münchner Szenenachtclub Cosy erstmals mit einem Berliner Travestiekünstler konfrontiert und war begeistert. Nachdem er als Kellner in München und Berlin gearbeitet hatte, kam er als 2o-jähriger im November 1969 wieder zurück nach Nürnberg und erfüllte sich mit der „Quickbar“ seinen Jugendtraum der Selbstständigkeit. Er engagierte in den folgenden acht Jahren Travestie-Artisten aus Berlin und aus dem Hamburger Pulverfass. Die Nachfrage boomte, aber dieses Lokal war für richtiges Kabarett ungeeignet.
Ende 1977 fand er die neuen Räume in der Bogenstraße, in denen bereits ein Animierlokal unter dem Namen Paradies betrieben wurde. Die Hausbesitzerin, eine ältere Dame, war von der Idee, ein „Travestie-Cabaret“ zu eröffnen, begeistert. Reklamationen von Nachbarn im gleichen Haus beantwortete sie mit: „Wenn es euch nicht passt, dann zieht halt aus!“ Das Kabarett zog die Leute magisch an. Es war etwas ganz Neues, Sensationelles und alle wollten es sehen. „Zeitweise standen bis zu 300 Leute wartend vor dem Theater.“ Die Nachbarschaft gründete nach der Eröffnung 1978 eine gegnerische Bürgerinitiative. Die Stadt Nürnberg teilte Roland mit, dass sein Lokal ein halbes Jahr lang observiert wurde. Ergebnis: Das Paradies wurde als Touristenattraktion für die Stadt und unbedingt erhaltenswert eingestuft. Der Stadtrat bewilligte die wirtschaftlich notwendigen Betriebszeiten am Wochenende bis 3 Uhr und unter der Woche bis 1 Uhr. Die Klage der Initiative wurde abgewiesen. „Angeblich ging es nur um den Lärm auf der Straße, man hätte ja nichts gegen die Transvestiten.“ Das positive Ergebnis war Folge einer strengen Theaterführung, Auswüchse sexueller oder illegaler Art gab es nie. „Wir hatten Artisten aus der ganzen Welt: Brasilien, Venezuela, Japan. Es traten 8 bis 12 Künstler an einem Abend auf. Es waren drei Kellner, ein DJ, Garderobier, Kassier und ein Spüler beschäftigt.“ Roland Müller verkaufte das Paradies 1990, um nach Gran Canaria auszuwandern.
Peter Schneider war im Außendienst der Firma Sprüngli beschäftigt, als er 1989 nebenbei mit Travestie auf der Paradiesbühne stand. Dort arbeitete auch sein Lebenspartner Thomas Heber als Aushilfskellner. Als die beiden hörten, dass das Theater zum Verkauf stand, wurde Peter in einer mutigen Aktion zum Chef des Hauses. Nach etwa einem Jahr wurden die Räume renoviert. Das Geschäft lief gut, nach drei Jahren war das Gröbste überstanden. Auf Anregung der Besucher wurde 1996 das übliche Programmschema von drei Vorstellungen auf eine einzige umgestellt: Die Revue war geboren, die Künstler konnten mehrere Darbietungen zeigen und auch gemeinsam einstudierte Auftritte zum Besten geben. Das Publikum wurde anspruchsvoller und die Vorstellungen perfektioniert.
„In den Urzeiten des Paradies Theaters waren an die 150 Besucher in den Raum hineingedrängt worden. Alle Gänge waren voller Stühle. Die Künstler hatten sich beschwert, weil ihre Garderobenstühle weggenommen wurden! Als Bühne blieben nur noch zwei Quadratmeter übrig. An Fluchtwege dachte niemand.“, erinnert sich Peter. Nach der Übernahme und weil sich schon viele Besucher beklagt hatten, wurde ein Limit gesetzt für maximal 85 Besucher. Ein Generationenproblem haben Peter und Thomas nicht: Alle Altersgruppen von 18 bis 85 sind vertreten. „Was uns besonders freut ist, dass seit zwei Jahren sehr viele Lesben kommen und sie viel Spaß an unserem Travestie-Programm haben, das war früher nicht so.“
Allerdings entschließen sich immer weniger Künstler für dieses Genre, denn für den Nachwuchs gibt es kaum noch Auftrittsorte. Viele Travestiekünstler spielen heute Theater oder gehen auf Kreuzfahrtschiffe. Der letzte Talentwettbewerb war vor vier Jahren, seitdem gibt es keine Anfragen mehr. „6 Bewerber meldeten sich, die Show war ausverkauft. Leider kamen vier davon nicht und wir mussten die Vorstellung absagen. Wer Lust hat auf der Bühne mitzumachen, kann sich jederzeit melden! Der heute bekannteste Star, dessen Karriere im Paradies seinen Anfang nahm, ist übrigens Olivia Jones.“
Text: Norbert Kiesewetter
LEO-Magazin April 2010
Paradies Theater ca. 1990