Chronologisch von oben nach unten: Bericht Bernhard Peer Stadtmaus (2024), Liste Szenelokale Nürnberg 70er / 80er Jahre
Stadtmaus
Vom Tabakkönig bis zur Szenekneipe
Schwule Community Geschichte in Nürnberg: Was haben die Tabakgeschäfte im Nürnberger Hauptbahnhof und die queere Szene miteinander zu tun? Die Tabakläden gehörten einst Bernhard Peer (78), vielen besser bekannt unter seinem Spitznamen „Papier Mitzi“. Noch heute bleibt er nicht in seinen vier Wänden, sondern besucht gerne Menü-Shows. Man trifft ihn dann in seinem rosafarbenen Anzug im Literaturhaus. Oder er verbringt Tage oder Wochenenden in Berlin. Wir sprachen mit Mitzi über seine Szene-Geschichte. Einer der wenigen, mit denen ein gedanklicher Streifzug durch frühere Treffpunkte für die Community in der Frankenmetropole noch möglich ist.
Sein Lokal „Stadtmaus“ öffnete am 23. Oktober 1982 in der Vorderen Sterngasse 18. „Es war eine schöne Zeit. Zur Eröffnung gab es eine Travestie-Show und Buffet. Die Leute haben bis auf die Straße Schlange gestanden. Rund 150 waren da“, erinnert sich strahlend Bernd. „Den Lokal-Namen hat ein Freund aus Berlin erfunden. Weil ich viel in Städte reise, also ‚Stadtmaus‘. Es war eine offiziell schwule Kneipe, Frauen durften nicht rein. Deshalb fühlten sich viele Ärzte, Rechtsanwälte, Akademiker, besonders verheiratete Männer als Gäste wohl“, schmunzelt der einstige Wirt. Vom Städte-Trip aus Amsterdam hatte Bernd die Idee einer Fetisch- bzw. Leder-Bar nach Nürnberg mitgebracht. „Bei uns gab es sowas nicht. Vom ersten Tag an lief es.“ Der Laden war für die damalige Zeit optimal versteckt gelegen, zentral, aber nicht auffällig. Kleine Speisen stillten den Hunger der Besucher, ohne dass sie das Lokal verlassen mussten. Die Stadtmaus führte Bernds Partner Michael. 20 Jahre waren sie als Paar zusammen, bis sie der Tod 2002 trennte. Sie bewohnten gemeinsam ein Reiheneckhaus beim Nordostbahnhof. Bernd wollte Michael damals unbedingt für sein Lokal haben, denn dieser hatte schon für das ursprüngliche Savoy in der Altstadt das Konzept entwickelt gehabt. Es hatte lange gedauert, bis er zustimmte. Doch das gleiche Gehalt in einer Szenekneipe wie beim bisherigen Flughafenjob überzeugte ihn. Schließlich entwickelte sich auch eine Beziehung zwischen den Beiden. Bernd war damals Inhaber zahlreicher Tabak- und Kiosk-Läden, er konnte deshalb die Stadtmaus nicht selbst führen. „Das Lokal war rustikal und mit Lederpuppendeko eingerichtet. Nach nur zwei Jahren mussten wir wieder zumachen. Die AIDS-Welle rollte nun durchs Land. Keiner ging mehr aus wegen der Angst davor, das war zu wenig Publikum. Und dann wollte auch mein Partner nicht mehr. Ich stand da ohne Personal“, resümiert Mitzi den Anfang der 80er Jahre. „Der Zusammenhalt in der Szene war mehr als heute. Damals hat man sich öfters gegenseitig ausgeholfen. Man war nicht futterneidisch. Denn der Gast entscheidet, wo er hingeht“.
Kioske und Tabak
1945 geboren und aufgewachsen in Nürnberg, die Holzgartenschule war sein Revier. Gelernt hatte Bernd Elektromaschinenbau, aber eigentlich wollte er Kellner werden. Selber rauchte er das letzte Mal mit der Mutter, als er 13 Jahre alt war. Mit 18 Jahren war er im Außendienst und hat Wein verkauft. Früh und am Nachmittag hat er seinem Chef geholfen. Abends verkaufte er Versicherungen. Sein Geld legte er auf die Seite, um zu sparen. So hatte er zahlreiche Läden mit Wein beliefert, und dabei die entsprechenden Besitzer kennengelernt. Darunter war auch der Schreibwarenladen in der Koberger Straße. Der Kontakt wurde mit der Zeit intensiver, bis er letztendlich selbst das Geschäft übernehmen konnte. „Es war ein richtiger ‚Tante Emma Laden‘. Man hat alles bekommen, was die Kunden wollten“, erinnert sich Bernd. Er beobachtete seine Kundschaft und merkte sich deren Kaufwünsche. „Ich habe dann teilweise das Sortiment geändert. Es gab sowohl billige als auch teure Produkte. Damit die Kunden den Unterschied sehen.“ Nachdem der Laden erfolgreich lief, bewarb er sich Ende der 70er Jahre bei der Stadtreklame für die Kioske bei der U-Bahn. „Ich hab‘ genervt und jede Woche zweimal angerufen. Schließlich bekam ich mit der Zeit die Kioske an den U-Bahnhöfen Weißer Turm, Plärrer und Maffeiplatz“. Schließlich bewarb er sich Jahre später auch bei der Deutschen Bahn um einen Tabak-Laden im Hauptbahnhof. „Die Bahn hatte ein Geschäft beworben, das hatte mich interessiert. Mit einer guten Freundin bin ich hingegangen, denn sie sollten nicht wissen, dass ich schwul bin. Sonst hätte ich den Laden nicht bekommen“, betont Bernd grinsend. „Bei der Verlängerung waren wir dann verlobt!“ Er spezialisierte sich dort auf Tabak und Zigarren, wurde sogar mit dem „schönsten Laden“ ausgezeichnet. Drei Geschäfte im Bahnhof, sowie drei weitere in der Königstorpassage gehörten ihm später. „Nach und nach habe ich alle Tabak-Läden übernommen. Damit hatte ich keine Konkurrenten mehr“, betont Bernd, der die Namen der Filialen aber nicht abänderte. „Wir waren auch Versuchskaninchen für neue Tabak-Sorten. Stimmte die Nachfrage bei uns, erst dann ging es in alle Läden.“ Insgesamt 25 Jahre lang arbeitete er in dieser Branche. Mit den Kiosken und Schreibwarengeschäften hatte er einst 20 Niederlassungen.
Papier Mitzi
So liberal und freundlich wie heute waren damals die Gesetze gegenüber Homosexuellen noch nicht. Daraus ergab sich die Gepflogenheit, auch als Schutz vor der Polizei, den echten und richtigen Namen in der Szene nicht zu nennen. Also ersann die Community eigene Spitznamen, damit man wusste, wer gemeint war. Als Inhaber eines Schreibwarengeschäfts brachte Bernd als Vorstellung einer absoluten Neuheit eine Papier-Küchenrolle in die Szenetreffs mit. Grundlage für seinen Spitznamen „Papier Mitzi“. Andere Szenegänger wurden zur „Reizzia“, zum „Pflaumen Doktor“ oder zur „Knochen Lotte“. Bernd hat auch den Spitznamen für den langjährigen Stadtrat der Grünen, Jürgen Wolff, erfunden: „Grüne Inge“. Als alle seine Läden funktionierten, investierte Bernd auch in die Community. So gehörte ihm einst das Walfisch-Haus, wo heute die AIDS-Hilfe Nürnberg residiert. Statt dem Estragon war dort erst in den 80er Jahren das „Henderson“ als Szene-Kneipe ansässig. Später die Fetisch-Bar „Walfisch“.
In Bernds Ausgeh-Zeit um 1966 gab es eine queere Szene noch nicht so öffentlich wie heute. Treffen fanden versteckt und überwiegend im privaten Rahmen statt. Offizielle queere Gastronomie existierte nicht, nur sehr wenige Geheim-Tipps. Der Paragraph 175 war seit der Kriegs-Zeit immer noch verschärft aktiv und damit Sex zwischen Männern weiterhin verboten. So blieben damals bestimmte öffentliche Toiletten (Klappen) in der Innenstadt die wenigen möglichen Treffpunkte, andere gleichgesinnte Männer zu treffen. In der Hoffnung, dort nicht aus Versehen an einen heterosexuellen Kerl zu geraten, der eventuell Anzeige erstattet oder sogar gewalttätig wird. „Von den versteckten Klappensex-Treffpunkten hatte ich damals schon gehört, aber ich war nie dort, weil es mir zu gefährlich war. Unter anderem machte die Polizei in den Klappen gezielt Razzien oder es lauerten Schläger am Eingang“, erinnert sich Bernd. „Bekannte halfen mir beim Umbau des Schreibwaren-Ladens. Darunter waren zwei Schwule, die aber ‚normal‘ ausgeschaut hatten. Durch sie lernte ich Emis Bierbar in der Südstadt und als Geheim Tipp die kleine Bar Trianon kennen. Wenn man nicht bekannt war, ist man in Emis Bierbar nicht reingekommen. Die Faschingsbälle waren dort aber eine Sensation.“ Dass er auf Männer steht, hat Bernd erst spät bemerkt. Von Haus aus fühlte er sich nicht schwul, wie er selber sagt. Anfangs lernte er ganz normal Frauen kennen und ist mit ihnen ausgegangen. Nur der Sex hatte mit ihnen nicht funktioniert, und er fühlte sich unwohl in deren Gegenwart, „weil sie auch so besitzergreifend waren und schnell ans Heiraten dachten“.
Erste diskrete Szene Bars
„Trianon, ach da werde ich begehrt“, schwärmt Bernd noch heute. „Beim ersten Besuch im Trianon am Unschlittplatz lernte ich mit 21 Jahren einen schönen lieben und netten Mann kennen. Wir verabredeten uns wieder, und ich bin zu ihm nach Hause mitgegangen. Da merkte ich, dass Sex mit einem Mann gar nicht so schlecht ist.“ Schon mit 18 Jahren bewohnte Bernd eine kleine Wohnung am Färbertor, am Rand der Nürnberger Altstadt. Meistens wurde hier mit Szene-Freunden gefeiert, „damit sind wir nicht aufgefallen!“ Aktuell blickt Bernd etwas traurig auf die dahinschwindende Nürnberger Szene Gastronomie der Community. „25 Kneipen hatten wir insgesamt in den frühen Jahren! Heute müssten sich die Wirte aber auch mehr einfallen lassen, sonst kommen keine Gäste mehr…“. Er ist überzeugt, mit einem neuem Lokal in guter zentraler Lage, dem passendem Zuschnitt, kleiner Tanzfläche, der richtigen zeitgemäßen Einrichtung, wäre so ein Laden auch heute in Nürnberg voll. „Am besten mit regelmäßigen Motto-Partys, Freitag und Samstag Tanz, Zielgruppe die 30- bis 40-jährigen Männer und mit einem gutaussehenden Barkeeper an der Theke“, visioniert Bernd drauflos. „Die heutige Jugend geht ja gar nicht mehr aus oder hängt nur an einem Glas Cola!“
Text: Norbert Kiesewetter
Fotos: Privat/ GAYCON Archiv
Szenelokale Nürnberg & Region
Schwule / Queere Geschichte Nürnberg: Liste Szenelokale der 70er/ 80er Jahre oder früher (Die 90er Jahre sind noch nicht alle dabei! Achtung: Liste ist noch in Bearbeitung!!)
Alt Prag (Hallplatz 29)
Eröffnung: Anfang 90er Jahre? Pächter: Walter Meyer ?
Von 2011 - 2016 Ulrich Stratica.
Amico Bar (Köhnstraße 53)
Eröffnung 25. Oktober 1969.
Apollo Sauna (Engelhardsgasse/ Schottengasse)
Eröffnung 15. Juli 1988. Pächter: Günther & Reiner Härtl.
Café Astoria (Gostenhofer Schulgasse/ Am Plärrer)
1. Stock / 70er Jahre. Geheimtipp. Gehobenes Publikum. Eintritt nur mit Anzug.
Café Bar Cartoon (An der Sparkasse 6)
Eröffnung Juli 1989. Pächter: Reiner Härtl.
Seit 2001 Olaf & Thomas Schulmeistrat.
Bei Ute
70er Jahre. Geheimtipp. Einrichtung alles Blau. Vermutlich ein Treffpunkt für Lesben.
Boots (Hintere Ledergasse 5)
Eröffnung 11. Mai 1985. Pächter: Reiner Härtl.
Neueröffnung 07. Mai 1987. Pächter: Heinz. (NLC Franken)
Vorher: Rome Club - Transvestiten Bar
Caféhaus am Plärrer (Fürther Str. 2a)
Eröffnung 20. Oktober ?. Pächter: Jürgen May
Chiringay Sauna (Comeniusstr. 10)
Eröffnung: Mitte 80er Jahre? Pächter: ?
Come Back (Engelhardsgasse 2)
Pilsbar & Disco. Eröffnung 29. April 1987. Pächter: Reiner Härtl.
Emis Bierbar (Wiesenstraße)
Älteste Lokal ? Ab 50er Jahre ? bis 80er Jahre; Überwiegend älteres Publikum. Betreiber war ein Heteropaar.
Einfachso (Klaragasse 26)
Eröffnung Anfang 90er Jahre; Pächter: Walter Meyer.
Seit September 2020 Martin Urban.
Entenstall (Entengasse)
Eröffnung: Mitte 90er Jahre? Geschäftsführer: André.
Mr. Hendersen (Jakobstr. 19) & Hotel Walfisch (Entengasse 2)
Eröffnung: 1985 ? Pächter Christian Dreesen & Reinhard Härtl.
Später "Walfisch Bar". Pächter: Bernhard Peer. Unterpächter: Heinz Heidingsfelder.
Heute: Restaurant Estragon. AIDS-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth e.V.
Heustadl (Mettlacher Straße 45)
Beim Südfriedhof. Eröffnung 2. Juli 1969.
Jeans (Ottostr. 1/ Ecke Engelhardsgasse)
Eröffnung 10. Oktober 1986. Pächter: Bruno.
Kings Pub (Dr. Kurt-Schumacher-Straße)
Eröffnung: 1993. Pächter: Wolfgang Scheffel.
La Bas (Dr. Kurt-Schumacher-Straße)
Eröffnung 1979 ? Pächter: Walter Meyer.
Anfang der 90er Umzug zum Hallplatz 31.
Little Hendersen (Frauengasse)
Eröffnung: 1985? Pächter: Reinhard Härtl ?
Pächter: Wolfgang Scheffel 1989. Ab 1995 Nürnbergs kleinste Disco.
Lorenzer (Lorenzer Str.)
70er Jahre. Geheimtipp. Bei ehem. Schmidt Bank.
Männerdisco (E-Werk Erlangen/ Fuchsenwiese 1)
Kein Lokal, aber ein wichtiges Event für die damalige Community. Von 1984 bis 2000. Einmal im Monat, erste schwule Veranstaltung in Erlangen. Gäste kamen sogar aus München.
Paradies Revue Theater (Bogenstr. 26)
Eröffnung: 1978. Pächter: Roland Müller. Ab 1990 Peter Schneider. Seit 2016 Thomas Heber.
Petite Café (Hinterm Bahnhof)
Eröffnung: noch früher. Ab 1988 Pächter: Werner & Hella. Erst dann Szenebar.
Pilsbar Fäßla (Landgraben Str. 21)
Nur zwei Jahre. 80er Jahre. Pächter: Johannes Hess.
Quick Bar (Peter-Henlein-Str. 78)
Eröffnung Samstag 22. November 1969. Pächter: Roland Müller.
Bierbar Savoy (Bogenstr. 45)
(Voläufer in der Vorderen Sterngasse / Altstadt.)
Eröffnung Freitag 01. Juli 1983. Pächter: Peter Abram.
Seit 2010 Peter Liedl.
Sauna Club 67 (Pirckheimerstr. 67)
Nordstadt. Eröffnung 16. Dezember 1984. Pächter: Richard Siepl.
Sonnige Pfalz (Obere Kanalstr. 31a)
Eröffnung Samstag 07. September 1968. Weinstube und Bar. Pächter: Reiner.
Toy (Luitpoldstr. 14)
Gay-Toy-Club-Film-Bar. Eröffnung 11. Oktober 1986. Pächter: Robby und Harald.
Trianon (Unschlittplatz 2)
Kleine Bar, etwas größer als Petit Café. Geheim Tipp vor den 70er Jahren.
Vicking Club (Kolpinggasse 42)
Eröffnung: Anfang 80er Jahre? Pächter: ?
Why Not (Lammsgasse 8)
Eröffnung? Pächter: Sigi Greis. 90er Jahre "Backstage".
+++ Achtung: Die Liste ist sicher noch nicht vollständig. Ihr kennt noch weitere Szenelokale von damals oder noch früher? Ihr habt historische Fotos oder Informationen zu den Lokalen? Dann meldet Euch gerne bei uns per E-Mail info@gaycon.de +++